Unterrichtsausfall – nur gefühlte Wahrheit?

Etwas überrascht und ziemlich verärgert lese ich als Grundschulpädagoge am Anfang Juli in den Zeitungen, dass unsere Ministerin im kommenden Schuljahr den Unterrichtsausfall exakt erfassen möchte, damit „gefühlte Wahrheiten durch verlässliche Zahlen“ ersetzt werden.

Dabei gibt es doch bereits jetzt verlässliche Zahlen über die unbesetzten Planstellen an Grundschulen und den damit verbundenen Ausfall an Unterricht.

So scheint auch diese Ankündigung dazu zu dienen, den Eindruck zu erwecken, als habe die Landesregierung alles im Griff und das Reden von einer sich anbahnenden Bildungskatastrophe sei nur das übliche Geklingel einer enttäuschten Opposition.

Nein: die Bildungskatastrophe an Grundschulen in NRW ist erlebte Wirklichkeit. Damit müsste die Landesregierung endlich ehrlich umgehen!

 

Die Schule in NRW – und nicht nur da – ist in einem fahrlässig herbeigeführten Dilemma: für guten Unterricht fehlen die gut ausgebildeten Lehrkräfte. Früher galt mal, fehlt die Lehrkraft fällt der Unterricht aus!

Manch einer erinnert sich vielleicht daran, dass an seinem Gymnasium die Stundentafel gekürzt wurde, weil fachlich kompetente Lehrer nicht zur Verfügung standen. Mal ein Jahr lang keine Musik, mal ein Jahr lang kein Kunst, mal überhaupt kein Spanisch im Angebot…

Da nun an Grundschulen die fachlich kompetenten Lehrkräfte fehlen, müsste die Landesregierung sich ehrlich machen und bei den Eltern um Verständnis bitten, dass dieser Unterricht fachlich kompetent nicht erteilt werden kann. Die Stundentafel der Grundschule wäre so lange zu kürzen, bis die dafür notwendigen gut ausgebildeten Lehrer zur Verfügung stehen.

Bisher hat die Regierung noch keine der vorgeschlagenen Maßnahmen ergriffen:

  1. Ein landesweit gesteuertes Einstellungsverfahren zur gleichmäßigen Verteilung des Mangels
  2. Ein Angebot an die  Lehrkräfte anderer Schulformen (Sek 1 und Sek 2), das eine echte Perspektive darstellt mit der Möglichkeit der Verbeamtung und des Erwerbs des Lehramtes Grundschule durch berufsbegleitende Qualifikation.
  3. Eine deutliche Entlastung der  Schulen für die Begleitung bei der Nachqualifikation.

Bisher setzt die Regierung auf befristete Vertretungskräfte und  Seiteneinsteiger und täuscht damit vor, dass die Betreuung durch „pädagogisch affines Personal“ bereits Unterricht sei. Das ist grob fahrlässig! Genauso wie ein Busfahrer nicht schon vor Bestehen der notwendigen Führerscheinprüfung im Straßenverkehr zugelassen ist, genauso müssen Menschen, die in der Grundschule unterrichten wollen, erst eine Ausbildung erfolgreich absolvieren, bevor sie auf die Kinder losgelassen werden! Die Analogie zu Piloten oder Ärzten … oder Schulaufsichtsbeamten möchte ich hier nicht auch noch bemühen!

 

In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch daran erinnern, dass schon der so genannte bedarfsdeckende Unterricht durch Referendare immer wieder auch kritisch gesehen wird: dieser selbstständige Ausbildungsunterricht ist ja für die Kinder nur dann einigermaßen erfolgreich, wenn das Ausbildungsseminar auch diesen Teil der Arbeit der Referendare inhaltlich begleitet und die Ausbildungsschule die zusätzliche Belastung durch die Betreuung der Referendare stemmen kann.

Aber immerhin haben die Referendare ein fünfjähriges wissenschaftliches Studium der Grundschulpädagogik absolviert.

Bei den Vertretungskräften und den Seiteneinsteigern, auf die die Landesregierung zurückgreifen will, fehlt oft die pädagogische Ausbildung, fehlt bei den Vertretungskräften die Begleitung durch das Ausbildungsseminar und fehlt immer jede Entlastung für die Schule, mit der der Bedarf an Betreuung aufgefangen werden könnte.

 

Wäre es da nicht besser, die am Lehramt Grundschule interessierten in Intensivkursen vorzubereiten und danach berufsbegleitend auszubilden und während dieser Zeit den Ausfall von Unterricht zu akzeptieren, weil wir ja alle oft genug erleben, dass Betreuung kein Unterricht ist und schlechter Unterricht schlimmer ist als gar keiner!

 

Dinslaken, 5. Juli 2018

 

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Unterrichtsausfall - nur gefühlte Wahrheit

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